Ulrich Roski - Mir Geht Es Schlecht

Wenn man heut' freunde trifft
Dann druckst man rum: wie spreche ich ihn an?
Denn: „wie geht's?", traut man sich gar nicht mehr zu fragen
Keiner sagt mehr unbefangen:
„letztes mal ist's noch gegangen!"
Jeder stöhnt: „ach, man kann gar nicht genug klagen
Unser goldfisch hat die grippe
Und mein chef versteht mich nicht
Und der hund kommt in der schule nicht voran
Und dann noch wühlmäuse im garten
Und der nachbar übt fagott"
So stimmt jedermann sein klageliedchen an

Mir geht es schlecht, mir geht es schlecht!
Das leben ist so hart und ungerecht
Wenn einer sagt: „mir geht es prächtig!"
Macht er sich sofort verdächtig
Jeder klagt mit fug und recht:
„mir geht es schlecht!"

Jeder pflegt auch sein wehwehchen
Es tönt: „aua!", „oh!" und „uff!"
Wie ein chor aus überfüllten wartezimmern
Lauter kranke und auch solche
Die es einmal werden wollen
Stimmen ein in das gepflegte, zarte wimmern
Alle warten sie geduldig
Dass der doktor sie erhört
Und sie starren wie gebannt auf seine tür
Fragt der arzt dann händereibend:
„na wie geht es uns denn heut?"
Sagt man: „wie's ihnen geht, das weiß ich nicht, doch mir

Mir geht es schlecht, mir geht es schlecht!
Mein puls geht rasend und er hämmert wie ein specht
Und ich muss mit trocknen lippen
Ein paar magentröster kippen
Und im nu bin ich bezecht
Und mir ist schlecht!"

Auch der sport geht schon auf krücken
In den stadien klaffen lücken
Und die funktionäre tragen ernste mienen
Ihre kicker zieh'n ne flappe
Und riskier'n ne große klappe
Weil sie mein'n, dass sie so gut wie nichts verdienen
Auch dem läufer und dem schwimmer
Ggeht es täglich immer schlimmer
Und der springer buddelt weinerlich im sand
Schlaff hängt vor dem wurf der hammer
Selbst den angler hört man jammern
Obwohl dieser sport angeblich so entspannt:

„mir geht es schlecht, mir geht es schlecht!
Mir fehlt die kondition, ich bin geschwächt
Einen karpfen wollt' ich fangen
Einen fetten, einen langen
Doch ich fing nur einen hecht
Mir geht es schlecht!"

In den diversen parlamenten brüten glücklose talente
Denn der haushalt platzt bereits aus allen nähten
Und es ist zum steinerweichen
Wie sie kürzen, wie sie streichen
Allerdings nicht bei den eigenen diäten
Sie zeigen sich zutiefst besorgt
Ob ihnen jemand noch was borgt
Und legen ihre stirn in dackelfalten
Und es klagt das hohe haus: „wir hab'n gelebt in saus und braus
So was kann doch schlechterdings nicht ewig halten

Uns geht es schlecht, jetzt geht's uns schlecht!
Es war ja klar, dass sich das eines tages rächt."
Jeder gibt am rednerpult
Allen anderen die schuld
Wer das hört, sagt sich mit recht:
„uns geht es schlecht!"