Ulrich Roski - Die Kuh Muss Vom Eis

Das Städtchen Drückeberg am Drücker rüstet sich zu einer prächtigen Feier
Da wird morgen früh ein neuer Stadtpark eingeweiht, mit einem künstlichen Weiher
Früher hatte auch das Flüsschen Drücker durchaus seinen eigenen Charme
Doch dank der blühenden Industrie riecht's dort heut', wie bei Oma unterm Arm
Oberbürgermeister Stechlich hat den Park seit langem geplant
Dann hat er der Gemeinde das Grundstück verkauft und ordentlich abgesahnt

Nun steht er vor dem Spiegel und übt seine Einweihungsrede ein:
„Möge dies ein Ort der Muße für alle Drückeberger sein!"
Dann geht er in den Park, es ist ein sonniger Tag
Aber als er dort ankommt, trifft ihn beinah' der Schlag:
Der Teich ist zugefroren, dabei ist es knallheiß
Und mitten in der Mitte steht 'ne Kuh auf dem Eis

Flugs ruft der OB den Stadtrat herbei
Der soll schonungslos prüfen, wer der Schuldige sei
Auf Finanzrat Vetternwirt fällt gleich ein Verdacht
Denn dessen Schwager hat nicht nur den Teich, sondern auch die Klimaanlage gemacht
Dank der im Rathaus auch im Sommer die Eisblumen blüh'n
Und im Winter herbe Düfte durch die Flure zieh'n

„Welcher Schwager?", ereifert sich Vetternwirt, und wird vor lauter Unschuld rot
„Ich habe keine Schwester und die hat keinen Mann und auch der ist schon lange tot!"
„Wenn hier irgend etwas stinkt", ruft der Sprecher der Konservativen, den wie stets keine Sachkenntnis plagt
„Ist es bestimmt nicht die Klimaanlage, das habe ich schon immer gesagt!"
„Ich höre immer Klimalage", ruft Ehrenbürger Rüstig gereizt
Schuld daran ist doch der Russe, weil der in Sibirien die Tundra beheizt

Dadurch friert bei uns alles zu, die Natur gerät aus dem Gleis
Und jetzt haben wir als Quittung eine Kuh auf dem Eis!"

Nun doziert die Vertreterin der Drückeberger Universität
Fräulein Doktor Drollig von der veterinärpsychologischen Fakultät:
„Mir scheint, dass wir diesen Problemkreis mal von der Sicht der Kuh her fassen müssen
Und ich verbitte mir vorab Bemerkungen wie: Ich müsse es ja wissen!
Ein kaltes Euter führt zwangsläufig in die Depression, wie die Verhaltensforschung meint
Und das endet dann damit, dass die Kuh beim Melken weint."

„Ha, Tränen in der Milch! Verwässerungstaktik!", tönt es von der Opposition
„Und angesichts des Butterberges noch zusätzliche Milchproduktion
Der Markt kann das einfach nicht verkraften, also wohin mit der Milch, gnä' Frau?"
Die schlägt vor: „Füttern Sie die Kuh mit Schokolade, vielleicht gibt sie dann Kakao."
Darauf entsteht Tumult im Saal, es erhebt sich ein wirres Geschrei
Und mitten in das Chaos fragt jemand: „Was tut eigentlich die Polizei?"

Wachtmeister Siggy Simpel wird dadurch unsanft geweckt und flucht
Er habe in der Stadtrandsiedlung mehrere Wohneinheiten durchsucht
Mit dem Erfolg, dass er dort zwei Ausländer ohne Aufenthaltsgenehmigung fand
Die er festnahm, wegen illegalen Besitzes von fünfzehn Gramm Scheuersand
„Und was hat das mit der Kuh zu tun?" fragt ein Anderer, doch den hört man schon gar nicht mehr
Denn Bauer Harms posaunt heraus: „Ich hab's, ein Bulle muss her!"

Siggy Simpel ruft wütend: „Solche Ausdrücke verbitte ich mir!"
Der Bauer erläutert sachlich, er meine keinen Ochsen, sondern einen Stier
Der solle die Kuh vom Eise locken. Doch das Rindvieh ist verstockt
Es lässt sich nicht mal erweichen, als der Bauer persönlich lockt
Darauf schimpft man ihn einen Versager und Fräulein Doktor Drollig tröstet ihn
Mit der Spruchweisheit, dass wir letztlich alle doch am gleichen Euter zieh'n

Da endlich spricht ein gestandener Mann ein erlösendes Wort
Es ist Wendelin Wühler, der größte Tiefbauunternehmer am Ort:
„Ich verlange eine angemessene Aufwandsentschädigung, dann schlagen meine Bagger zu
Und vergraben bis morgen diesen dämlichen Teich mitsamt der dämlichen Kuh!"
Diesen Ausweg halten alle hier für klug und durchdacht
Als flankierende Maßnahme wird noch ein Bürobote für alles verantwortlich gemacht

Am Tage der Eröffnung singt der Kinderchor nicht ohne tieferen Sinn
OB Stechlichs Lieblingslied: „Solang' ich noch am Drücker bin!"
Dann weiht er offiziell den Stadtpark ein, alle machen ein heiteres Gesicht
Denn die Bürger sehen nur den Sandberg, was darunter ist, seh'n sie nicht
Wenn's drauf ankommt zahl'n die Drückeberger gern jeden Preis
Wie man's macht, ist ganz egal, nur die Kuh muss vom Eis!