Ulrich Roski - Bleib Wo Du Bist

''Ich bin an sich nicht abergläubisch.
Aber als ich neulich den Zirkuswagen mit der Wahrsagerin sah,
konnte ich doch nicht umhin, mal einen Blick in die Zukunft zu werfen.
Die Dame sah aus, wie ein ungemachtes Bett und trug eine Gesichtsfarbe,
als habe sie gerade in den Aschenbecher geniest.
Sie löffelte geheimnisvoll in ihrem Kaffeesatz,
nestelte an einer Käseglocke herum und machte ein paar Kartentricks.
Dann verkündete sie, über den kurzen Weg
werde ein junges Mädchen in mein Leben treten
und sich ein für alle Mal darin festbeißen.
„Nichts da", protestierte ich, „ich bin
mit meiner harmonischen Zweierbeziehung vollkommen ausgelastet".
„Die Karten lügen nicht", verwies sie mich streng, und zog die gelbe.
Eingeschüchtert bat ich um Einzelheiten.
„Sie ist jung", krächzte die Alte, „Sehr, sehr jung!"
„Oh", dachte ich „Das gibt sicherlich Stunk.
Wegen so was sind ja schon ganz andere Leute auf die Schnauze gefallen!"
Und sie fuhr fort: „Sehr jung und gesund und wiegt sieben Pfund."
Ich eilte nach Haus, konnte aber meiner Frau
mit der Neuigkeit überhaupt nicht imponieren, denn sie wusste schon alles genau.
Offenbar war sie bei derselben Wahrsagerin gewesen.
Im Fernsehen lief übrigens grad die Tagesschau. Da dachte ich:''

Baby, Baby, wer weiß ob's dir hier gefällt
Kann man dir überhaupt so was zumuten
Wie diese schäbige Welt?
Ich sag's dir im Guten
Und ich rate dir als Realist
Baby, Baby, am besten du bleibst, wo du bist!

''Es fragte sich nun: Was tun. Ich tat zuerst mal das Nächstliegende und Vernünftigste:
Ich trank einen Becher Rum und ging im Zimmer auf und ab, um meine Frau zu beruhigen.
Dann beschloss ich, ich geh' los und schaff' schon mal das Notwendigste an:
'Ne Tüte Gummibärchen und 'ne Carrera-Bahn. Auf der Straße
erwischte ich mich bei völlig widersinnigen Verhaltensformen:
Ich glotzte in einen wildfremden Kinderwagen und fragte dümmlich:
„Na, wie heißt denn unser kleiner Aleterocker"?
Die verschreckte Mutter stotterte nur: „W-w-weiß ich nicht,
hat er noch nicht gesagt" und suchte hektisch das Weite.
Da sich meine Frau beharrlich auf den Standpunkt stellte,
das Baby könne auf die Dauer von Gummibärchen
und Carrera-Bahn allein nicht existieren,
kauften wir zum gegebenen Zeitpunkt dann auch noch Möbel ein.
Zunächst mal die Windeln.
Man versuchte uns von den Vorteilen der Einwegware zu überzeugen,
aber ich bestand auf Mull.
Man will ja nicht gleich von Anfang an ein Wegwerfbaby heranzüchten.
Als Schlafgelegenheit wählten wir selbstverständlich ein Hochbett,
weil man dabei so gut hört, wenn das Kind rausgefallen ist.
Trotz aller gegenteiligen Bemühungen wurde die Sache mit dem Nachwuchs dann doch ruchbar,
schon aus rein optischen Gründen. Von da an wurden wir überschüttet
mit Ratschlägen guter Freunde und wohlmeinender Verwandter.
Zum Beispiel: Man solle das Badewasser nicht zu heiß machen,
dabei gingen manche Babys ein. Und wenn,
dann solle man das Kind auf jeden Fall bei den Ohren halten,
damit man sich die Finger nicht verbrüht. Von Trockenschleudern
wurde nichts erwähnt. Zu guter Letzt lernte ich dann auch noch den Doktor kennen,
der dem Baby den Weg ins Freie ebnen sollte.
Ein sehr gediegener Herr, sah aus, wie der leibhaftige Klapperstorch.
Ich dachte, wenn das Baby den als ersten sieht, kehrt's gleich wieder um.
Und vielleicht wär' das letztlich gar nicht so dumm.''

Baby, Baby, wer weiß ob's dir hier gefällt
Kann man dir überhaupt so was zumuten
Wie diese schäbige Welt?
Ich sag's dir im Guten
Und ich rate dir als Realist
Baby, Baby, am besten du bleibst, wo du bist!